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„Damenwahl!“

Marie Juchacz, Lore Agnes, Marie Müller – Pionierinnen der deutschen Demokratie

Vortrag von Diana Finkele

Seit der Französischen Revolution von 1789 war der demokratische Gedanke der Gleichheit in der Welt. Überall in Europa mussten die Frauen in der Folge, ihre Gleichberechtigung hart erkämpfen. Im 19. Jahrhundert konnten sie in der Landwirtschaft arbeiten, im Familienbetrieb mithelfen, sich verdingen als Dienstmädchen, Fabrikarbeiterin, Tagelöhnerin oder sie konnten Handarbeiten in Heimarbeit ausführen. Der einzige qualifizierte Beruf um 1900 war der der Erzieherin, doch eine Heirat bedeutete das Ende der Berufstätigkeit.

Das Frauenbild der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ließ öffentlich-politisches Wirken noch lange nicht zu. Das „schwächere Geschlecht“ blieb auf Aktivitäten im Haus beschränkt: für die Familie, den Ehemann, die Kinder. Daran änderte auch die Revolution von 1848/49 wenig. „Wo sie das Volk meinen, zählen die Frauen nicht mit“, kritisierte Louise Otto-Peters, eine Vorreiterin der bürgerlichen Frauenbewegung die frühen Demokraten. Von 1850–1908 duldete das preußische Vereinsgesetz keine Frauen in Vereinen und Parteien.

Mehr Präsenz in der Öffentlichkeit brachten Reformkleider & Hosenröcke in der Mode, Fahrräder & Tennisspiele im Sport.

Abbildung 2 Kladderadatsch

 

 

 

 

Kladderadatsch 19. Januar 1919
Grafschafter Museum im Moerser Schloss

 

 

 

 

 

Ohne großes Echo forderte die Schriftstellerin Hedwig Dohm 1873 als erste Frau auf Reichsebene das Stimmrecht für Frauen. Lange blieb es den Frauen der kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien vorbehalten, das Frauenwahlrecht zu fordern. „Können wir nicht wählen, so können wir doch wühlen“, lautete in den 1870er Jahren ihre Losung. Die gemäßigten konservativ-kirchlich orientierten Frauenvereine sahen sich eher als Gehilfinnen der Männer.

Mit zeitgenössischen Fotos, Zeitungsausschnitten, Plakaten machte die Leiterin des Grafschafter Museums im Moerser Schloss, Diana Finkele, die Frauen- und Demokratiebewegung lebendig mit vielen Beispielen vom Rheinland und Niederrhein, seit 1815 preußische Provinz! 1910 wurde als erste Frau in Preußen und Deutschland Marie Gräfin von Linden an der Bonner Universität Professorin. Lehren durfte sie nicht, aber sie forschte und leitete Institute bis 1933.

Der Erste Weltkrieg änderte viel. Die Frauen wurden für die fehlenden Männer in der Arbeitswelt gebraucht, viele caritative Aufgaben für die verletzten Soldaten und vaterlosen Familien waren zu bewältigen. Durch die Novemberrevolution von 1918 wurde endlich das aktive und passive Wahlrecht für Frauen erreicht und durch ihre Überzahl in der Gesellschaft wurden sie von allen Parteien umworben.

Endlich: Am 19.1.1919 „Damenwahl!“ 80% Wahlbeteiligung, viele konservative Frauen wählten männliche Abgeordnete, 423 Abgeordnete, davon 37 Frauen zogen in den Weimarer Reichstag ein, darunter zwei der 3 Pionierinnen. Alle drei hatten sich in der SPD politisiert, nach harten Erfahrungen als Dienstmädchen, und bis 1933 ihre späteren Mandate für die SPD wahrgenommen.

Lore Agnes (1876 Bochum – 1953 Köln) war in Düsseldorf beteiligt an der Gründung des Verbandes der Hausangestellten und wurde erfolgreiche Agitatorin, die von Ort zu Ort zog, um die Frauen auf ihre Rechte aufmerksam zu machen. Als Pazifistin 1917 inhaftiert, schloss sie sich danach der USPD an. Im Weimarer Reichstag forderte sie 1919 den Ausbau der Jugendfürsorge. Sie war an der Gründung der Arbeiterwohlfahrt in Berlin beteiligt, in Düsseldorf geht die AWO auch auf sie zurück. Bis 1933 setzte sie sich vor allem für die Sozial- und Frauenpolitik ein. 1933, 1934, 1944 monatelange Verhaftungen, immer wurde sie erkrankt entlassen. Nach dem Krieg beteiligte Lore Agnes sich in Düsseldorf am Wiederaufbau der AWO und der örtlichen SPD.  Bis zu ihrem Tod eine aktive Frauenrechtlerin, starb sie 1953 während einer Frauenkonferenz der SPD in Köln.

Marie Müller (1881 Croischwitz – 1972 Krefeld) wurde 1925 die erste weibliche Abgeordnete für die SPD im Moerser Kreistag als Nachfolgerin für einen verstorbenen Abgeordneten. 1921 waren die männlichen Abgeordneten dort noch unter sich geblieben.

Als ledige Mutter hatte Marie Müller in Niederschlesien als Schneiderin gearbeitet, wenig später den Bergmann Fritz Müller geheiratet. 1912 kam die Familie nach Kamp-Lintfort. Seit 1919 saß sie für die SPD im Lintforter Gemeinderat, war Schöffin beim Amtsgericht in Rheinberg. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete 1933 ihre Abgeordnetentätigkeit wegen des Parteiverbots.

Kreistag 1932 Marie Müller

Allein unter Männern: Marie Müller mit den Mitgliedern des Moerser Kreistages
Foto 1932; NS- Dokumentationsstelle, Stadtarchiv Moers

 

Die engagierte zierliche Frau war Mitbegründerin der AWO Lintfort und zählte zum Umfeld des Widerstandskämpfers Hermann Runge. In diesem Zusammenhang wurde sie nach dem 20.7.1944 verhaftet, kam aber nach 2 Wochen wieder frei. Nach Kriegsende trat Marie Müller erneut der SPD bei. 90-jährig verfasste sie in Krefeld, in der Familie ihrer Tochter, ihre Biografie.

Marie Juchacz (1879 Landsberg/Warthe – 1956 Düsseldorf) kannte wirtschaftliche Not als Dienstmädchen, Fabrikarbeiterin, Krankenwärterin, Schneiderin. Von ihrem ersten Arbeitgeber, einem Schneidermeister, ließ sie sich 1906, nach 3 Jahren Ehe scheiden. Mit ihren beiden Kindern und der geliebten Schwester Elisabeth ging sie nach Berlin, wo beide Frauen als Schneiderinnen gemeinsam ihre Kinder erzogen und sich daneben im Frauenarbeiterverein der SPD engagierten. Bald waren beide gefragte Rednerinnen.

Seit 1917 arbeitete Marie Juchacz hauptberuflich als Frauensekretärin im SPD-Vorstand, organisierte Nähstuben und Suppenküchen. Als nach dem Krieg die Frauen wieder aus den Wohlfahrtsverbänden gedrängt wurden, gründete sie 1919 mit der Arbeiterwohlfahrt eine SPD-eigene Wohlfahrtsorganisation, die unter ihrer Leitung und unter engagierter Mithilfe überall erfolgreich in Deutschland wurde. Als erste Frau ergriff sie in der Weimarer Nationalversammlung das Wort, forderte Freiheit und Gleichberechtigung der Frauen, erklärte die Sozialpolitik zur Frauensache. Sie trat für die Rechte der Mütter unehelicher Kinder ein und für die Reform des Paragrafen 218 (1925).

Am 28.2.1932 hat Marie Juchacz als Abgeordnete der SPD ein letztes Mal in der Debatte um die Reichspräsidentenwahl gesprochen: „Die Frauen … wollen keinen Bürgerkrieg, die Frauen wollen keinen Völkerkrieg, die Frauen wollen keine Verschärfung der Wirtschaftsnot durch innen- und außenpolitische Abenteuer … Es ist genug des Elends! Es ist genug des Bluts! … Die Frauen müssen bei dieser Wahl, die für das Schicksal des deutschen Volkes entscheidend sein kann, auf viele Jahre hinaus, den Kampf annehmen, für Frieden und Freiheit, für Frauenrechte und Frauenwürde, gegen den Todfeind, den Faschismus …“ Mit diesen mutigen Worten endete unser Vortrag. Sie sind wieder von erschreckender Aktualität.

1933 musste Juchacz vor den Nazis fliehen, über das Saarland nach Frankreich, dann von Marseille über Martinique in die USA. Noch im Exil organisierte sie Mittagstische für EmigrantInnen, in New York die Arbeiterwohlfahrt USA. Seit 1949 zurück in Deutschland, begleitete Marie Juchacz als Ehrenpräsidentin den Wiederaufbau der AWO, ihr Herzensanliegen.

Edda Glinka, Gruppe Moers

 

Kulturreise nach Leipzig im Oktober 2024

Auf der Hinreise von West nach Ost Erfrischungspause in Halle mit einstündigem Stadtspaziergang, vom Alten Markt mit dem Eselsbrunnen zum Hauptmarkt mit den 4 Türmen der Marktkirche und dem stolzen Roten Marktturm, weiter zu Händels Geburtshaus, Kardinal Albrechts Dom bis zum Göbelbrunnen am Hallmarkt, begleitet von spannenden Geschichten. Wir fahren weiter mit dem Wunsch, bei den Händelfestspielen mal dabei zu sein.

Marktkirche in HalleMarktkirche in Halle

Leipzig erreichen wir zum 35. Lichtfest, das am geschichtsträchtigen 9. Oktober an die Friedliche Revolution im Herbst 89 erinnert. Bis Mitternacht ist die autofreie Innenstadt voller Leben. Auf der authentischen Demonstrationsroute, dem Innenstadtring, auf Plätzen und an Gebäuden im Zentrum in allen Regenbogenfarben berührende Statements zu den damaligen Wünschen nach Freiheit. Von Gottesdiensten in der Nikolaikirche war die Bewegung ausgegangen, still, mit Kerzen in den Händen.

 

Lichterfest
Lichterfest

 

Nikolaikirche
Nikolaikirche

 

02-Nikolaikirche beim Lichtfest

 

 

 

 

 

 

 

Neue Universitätskirche

 

Als größte Stadt Sachsens trägt Leipzig viele Bezeichnungen, sie ist Messe-, Kongress-, Musik-, Buch-, und Universitätsstadt, im Zentrum noch Stadt der Durchgangshöfe & Passagen.

04-Doppel-M als Messetor
Doppel-M als Messetor

 

Am nächsten Morgen steigt Franziska in unserem Bus, um uns auf einer zweistündigen Fahrt all diese Facetten ihrer Heimatstadt nahezubringen, indem sie lebendig und detailliert von den Gebäuden erzählt, an denen wir vorbeifahren: dem Hauptbahnhof mit seinen 22 Gleisanschlüssen und interessanter Shoppingmeile, weiter über den Augustusplatz mit der Oper aus den 60igern, dem Kroch-Hochhaus, bekrönt von markanten Glockenmännern, dem schwungvollen Neuen Gewandhaus, dem Universitätshochhaus mit seiner Panoramaterrasse. Alles Bauten aus der DDR-Zeit. Auf dem Unigelände nun der Neubau des Paulinums. 1968 ließ Ulbricht hier die Pauluskirche sprengen, um Platz für den Campus zu schaffen. Nun sind Universitätskirche & Aula wieder dort.

Vorbei am alten Johannisfriedhof, Johann Sebastian Bach wurde erst 1970 von hier in die Thomaskirche umgebettet. Im Hintergrund grüßt als Dachbekrönung des Grassi Museums eine goldene Ananas im Art-déco- Stil, denn der kinderlose Mäzen und Namensgeber war durch Südfrüchtehandel wohlhabend geworden.

 

Die Deutsche Nationalbibliothek aus dem 19. Jahrhundert mit ihren Lesesälen und vielen Funktionen legt uns Franziska besonders ans Herz.

03-Deutsche Nationalbibliothek

Deutsche Nationalbibliothek

Wir passieren das „Runde Eck“ der Stasi, queren das alte Messegelände, das neuer kultureller und touristischer Nutzung zugeführt ist. Immer hatte Leipzig als Messestadt eine Vorzeigefunktion. Das doppelte M gilt als heimliches Wappen der Stadt. Der Reichtum der Stadt von 1870 bis 1930 wird immer wieder sichtbar. Wie eine Burg wirkt das Neue Rathaus. Das Reichsgericht von 1907 wurde auf Pfosten gegründet, um die riesige Kuppel zu tragen, seit 2002 ist dort das Bundesverwaltungsgericht zu Hause.

Am Völkerschlachtdenkmal steigen wir aus, Gruppenfoto vorm „Meer der Tränen“. Die goldene Kuppel der russischen Gedächtniskirche erinnert an die russischen Toten der Völkerschlacht. Viel grüne Naherholung umgibt die Stadt im Süden, am Clara-Zetkin-Park ein Denkmal der bedeutenden Leipziger Frauenrechtlerin. Im Waldstraßenviertel Villen der großen Verleger in Gründerzeitarchitektur aufwendig restauriert. Weiter Richtung Schleußig, am Palmgartenwehr geht es über die Weiße Elster. In Plagwitz hören wir vom “Thomaner“ & Juristen Dr. Karl Heine, der von der Anbindung der Elster an Hamburgs Alster träumte und um 1850 neue Wasserstraßen und Fabrikanlagen mit Kanal- und Gleisanschluss bauen ließ.  Nach Norden durch lebendige Szenekultur im Studentenviertel. Zum Abschied hören wir Lene Voigts „Erlgeenich“ frei nach Goethe in breitestem Sächsisch. Danke!

 

05-Unsere Gruppe im Bauerngarten am Schillerhaus

Unsere Gruppe im Bauerngarten am Schillerhaus

 

Unsere Tour endet in Gohlis am Schillerhaus, dem ältesten dort erhaltenen Bauernhaus. 1785 verbrachte der 25jährige Schiller hier unbeschwerte Sommerwochen, eingeladen von Theaterfreunden, denen er seine Ode an die Freude widmete. Dem „Götterfunken“ spürt die Ausstellung nach.

Danach spazieren wir zum Gohliser Schlösschen. Hier erleben wir ein Stück Rokoko-Geschichte, tauchen ein in die Welt des wohlhabenden Bürgertums und lassen den erlebnisreichen Tag im dortigen Café ausklingen.

Am 3. Tag spazieren wir zum GRASSI Museum für Angewandte Kunst. Vor 150 Jahren öffnete es als Kunstgewerbemuseum seine Tore. Zwischen 1925 und 1929 entstand beim alten Johannisfriedhof ein einzigartiger Gebäudekomplex im Art-déco-Zackenstil mit seinen bis heute jährlich stattfindenden GRASSI Verkaufsmessen. Außerdem beherbergt es die Völkerkunde und Musikinstrumente.

 

06-Vor dem Grassi-Museum

Vor dem Grassi-Museum

 

Uns beeindrucken sofort die 18 hohen Josef-Albers-Fenster im Haupttreppenhaus. 1926, am Dessauer Bauhaus im geometrisch-abstrakten Thermometerstil entworfen, wurden sie nach 2011 akribisch restauriert.

 

07-Josef-Albers-Fenster im TreppenhausJosef-Albers-Fenster im Treppenhaus

 

Auch die zweigeschossige Pfeilerhalle in Rot, Gold & wenig Blau mit eingelassenen Dreieck-Vitrinen erstrahlt in altem Glanz und wird ihren Funktionen als Veranstaltungsort, Messestandort und Ausstellungsraum gerecht. Nach der Wiedervereinigung hat das GRASSI reiche Stiftungen und Vermächtnisse erhalten.

Unsere Führung vom Jugendstil bis zur Gegenwart zeigte exquisite Jugendstilstücke um 1900, modernen Funktionalismus, viele Bauhaus-Exponate, skandinavisches und deutsches Design der 30er und 40er Jahre. Im Erdgeschoss dann Design nach 1945: internationale Impulse und den Wettstreit um „die gute Form“ zwischen Ost- und West, wunderbare Exponate aus Glas und Keramik, eine spannende Reihe internationaler Designer-Stühle. Zum Schluss stehen wir in einem halbdunklen Raum, in dem wir die Wände mit unseren Bewegungen zu wechselnden Lichtreflexen inspirieren!

 

09-Lichthof in der Specks-Hof-Passage

Lichthof in der Specks-Hof-Passage

 

Nach ausreichend freier Zeit nachmittags Treffen an der Tourist-Information zum Rundgang durch Handelshöfe und Passagen. Zuerst ein Blick auf die Giebel vom Fregehaus und Romanushaus in der Katharinenstr., seltene Beispiele des Leipziger Bürgerbarocks. Dann gehen wir Abkürzungen und kürzeste Umwege, sehen prächtige Passagen! Allein 16 entstanden im Stadtkern um 1900 im Jugendstil wie Specks Hof oder Mädler Passage, die auch Auerbachs Keller beherbergt. Sie dienten den neuen Mustermessen. Barthels Hof mit 5 Geschossen von 1750 ist der letzte erhaltene Durchgangshof für die Tauschbörse der Warenmessen. Dort fuhren Planwagen auf der einen Seite hinein, wurden von oben durch Kräne entladen und kamen ohne Wendemanöver wieder hinaus.

08-Bartelshof

 

 

 

 

 

Bartelshof

10-Am Auerbachs-Keller in der Mädlerpassage

Am Auerbachs-Keller in der Mädlerpassage

„Heemdücksch“ gelingt es unserem charmanten Stadtführer, uns in das Alte Rathaus am Markt hineinzulocken, um uns in einem Kabinett hinter dem großen Rathaussaal den Tisch zu zeigen, an dem Joh. Seb. Bach 1723 seinen Vertrag als Thomaskantor unterschrieb und seinen Amtseid leistete. Der 91m lange prächtige Renaissancebau ist 1556 in 9 Monaten, zwischen 2 Messen entstanden, auf den Grundmauern seines Vorgängers mit 6 Giebeln & einem Treppenturm. Erbaut vom damaligen Bürgermeister und Architekten Hieronymus Lotter, einzigartig!

Auf unüblichem Pfad stehen wir zum Schluss vor dem Kuchen-Geheimtipp „Zuckerhut“, denn das Riquet ist überfüllt, der Coffe Baum geschlossen!

Immer führen uns Leipziger Frauen oder Herr Hannemann, die in der Geschichte und Kultur ihrer Stadt verwurzelt sind und dankbar für die Wiederherstellung ihrer kulturellen Denkmäler. Alle erwähnen den Wiederaufbau der 68 gesprengten Pauluskirche. Mit ihnen entdecken wir Leipzigs strahlend schöne Seiten. Die Stadt hat nach der Wende von Anfang an auf Privatinitiative gesetzt und gern städtischen Besitz in private Hände gegeben, oft durchaus mit anspruchsvollen Forderungen verbunden.

Die Musikstadt Leipzig wird Höhepunkt des 4.Tages! Die 5 km lange „Leipziger Notenspur“ zu den verschiedenen Wohn- und Wirkungsstätten Leipzigs berühmter Komponisten und Musiker hatten wir schon häufig gekreuzt.

 

11-Thomaskirche

 

 

 

 

 

 

 

Thomaskirche

 

 

 

 

 

 

Zunächst zu Fuß zum Thomaskirchhof mit dem Denkmal Johann Sebastian Bachs. Dort eine Führung durch das Bosehaus, in dem sich heute das Bach Archiv mit dem Bach Museum befindet. Als Haus guter Freunde war es Bachs Lebensumfeld und ist heute ein Ort für kostbare Originale, selbstgewählte Klangerlebnisse, Konzerte im barocken Sommersaal. Es hat viele interaktive Möglichkeiten.

 

12-Blick aus dem Bosehaus

Blick aus dem Bosehaus

 

Der große Barock-Komponist und Organist hatte bis zu seinem Tode 1750 die Stelle als Thomaskantor inne. Damit war er für die Leitung des traditionsreichen Thomanerchors, aber auch für die Musik in den Gottesdiensten in Thomas- und Nikolaikirche zuständig.

Im Chorraum der Thomaskirche versammeln wir uns um Bachs Grab im 800-jährigen spätgotischen Gotteshaus. Noch dreimal pro Woche sind die Thomaner dort zu hören mit Bachkantaten und Motetten, oft begleitet durch das Gewandhausorchester.

Anschließend bleibt freie Zeit, die „Stimmen der Frauen aus der Bach-Familie“ als Lebensbilder zu sehen und zu hören, von Bachs Mutter, Bachs 2. Frau, der Hofsängerin Anna Magdalena (nur!), bis zu seinen Urenkelinnen, der Opernsängerin Cecilia, der Lehrerin Christina Louisa. Stark!

Am Nachmittag treffen wir uns in Felix Mendelssohns Wohn- und Sterbehaus. Zunächst eine Einführung zu Leben und Werk des weitgereisten Europäers. In Leipzig entwickelt er 12 Jahre als Kapellmeister das Gewandhausorchester, er gründet die 1. Musikhochschule Deutschlands hier. Dann erkunden wir das Museum auf 3 Etagen. Der Nachmittag gipfelt in einem wunderschönen Klavierkonzert im Musiksalon. Nicht nur Felix, auch Schwester Fanny Hensel und Freundin Clara Schumann mit ihren Kompositionen hören wir, zum Abschied „The Last Rose of Summer“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy.

 

13-Mendelssohn-Denkmal am Dittrichring

Mendelssohn-Denkmal am Dittrichring

 

Mit einem bunten Strauß unvergesslicher Erinnerungen geht es am 5.Tag nach Hause. Nicht ohne Halt beim 1200jährigen ehemaligen Benediktinerkloster Corvey, seit 2014 UNESCO Weltkulturerbe! Das älteste & einzige fast ursprünglich erhaltene karolingische Westwerk

 

14-Westwerk ehemalige Benediktinerabtei Corvey

Westwerk der ehemaligen Benediktinerabtei Corvey

 

zeugt mit der 3schiffigen gewölbten Säulenhalle im Erdgeschoss und der darüber liegenden doppelgeschossigen Königskirche mit kostbaren Wandmalereien aus der Erbauungszeit von der Bedeutung des Klosters als Brückenkopf an der Weser bei Höxter auf der alten Handelsstraße zwischen West (Duisburg) und Ost (Magdeburg) im frühen Mittelalter. Nach Stärkung in der „Klosterschenke“ folgten wir diesem „Hellweg“ zu großen Teilen auf dem Heimweg.

15-Karolingische Eingangshalle

Karolingische Eingangshalle

 

Herzlichen Dank Lutz am Steuer und
Anne Helmich für Planung und Organisation!

 

 

Text: Edda Glinka,  Fotos: Erika Esser und Edda Glinka

 

 

 

 

Das neue Museum Küppersmühle in Duisburg

Das neue MKM am Duisburger Innenhafen, ein Highlight im Ruhrgebiet

Das erweiterte MKM Museum Küppersmühle, Museum für moderne Kunst, mit der Fotoausstellung von Andreas Gursky war das erste Ziel unserer Gruppe im neuen Jahr. Kompetent und lebendig führte uns die Kunsthistorikerin Dr. Gisela Luther-Zimmer.

Zunächst in der Wechselausstellung im Erdgeschoss: eine Retrospektive aus vier Jahrzehnten des Fotokünstlers Andreas Gursky, geb. 1955. Der Meisterschüler von Bernd und Hilla Becher in seiner Zeit an der Düsseldorfer Kunstakademie hat sie selbst für Duisburg gestaltet mit vielen Bezügen zur Region.

Besonders an den letzten großformatigen Werken verdeutlichte uns Frau LutherZimmer Gurskys Arbeitsweise. Die auf den ersten Blick fotografische Abbildung der Realität erweist sich bei näherem Hinsehen als künstlerische Komposition mit vielfältigen Irritationen. Gursky dokumentiert sehr indirekt, er gestaltet mit großen digitalen Ausschnittfotos eine künstlerische Welt, in der er verschiedene Ebenen miteinander verbindet und dadurch kritisch verschiedenste Fragen aufwirft, zur Globalisierung ebenso, wie zur Umwelt, Politik oder Kunst.

Auch das Gebäude erlebten wir als Kunstwerk an sich. Die Industriegeschichte des denkmalgeschützten Gebäudeensembles der alten Getreidemühle mündete 1999 in klarer Museumsarchitektur der Gegenwart.

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„ Außen Ziegel –  innen White Cube“ war das Motto der Baseler Architekten Herzog & de Meuron. Sie schufen mit dem ersten Museumstrakt und dem neuen Erweiterungsbau 36 helle Sammlungsräume auf rund 6.000 qm Fläche. So sind nun über 300 Werke aus der Sammlung Ströher zu europäischer und deutscher Nachkriegskunst seit 1950 ausgestellt. Abstraktion und Informel haben viel Raum. Die Sammler präsentieren „ihre“ Künstler: innen gern mit Werken oder Werkgruppen aus unterschiedlichen Schaffensphasen.

Die große künstlerische Freiheit im Paris der 50iger Jahre ist vielfältig dokumentiert mit Werken von Wols, Dubuffet, Fautrier, Hartung, Soulages u.a.

Der große helle Ausstellungsraum im 3. Obergeschoss unter einem industriellen Sheddach mit schmalem Ausblick zum Hafenbecken ist den großformatigen Arbeiten von Erwin Bechtold vorbehalten.

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Im Silotrakt des Erweiterungsbaus verbinden zwei Brücken im 1. und 2. OG Neues mit Bestehendem. Schmale hohe Türen schaffen immer wieder Blickachsen zwischen den Ausstellungsräumen. Intensiv erlebten wir die beiden Treppentürme aus gewundenem terrakottafarbenem Beton, im Neubau auf dreieckigem Grundriss, im Altbau mit mehr Raum und Lichtbändern an zwei Seiten. Anblick und Benutzung waren ein Erlebnis.

Zum Abschluss dann Werkgruppen von Gerhard Richter, Gotthard Graupner und eine Installation von Anselm Kiefer. 2018 entstand „Klingsors Garten“ für diesen Ort als Hommage an Hermann Hesse, Jannis Kounellis und zum Abschied von der Kohle.

Text: Edda Glinka
Fotos: Edda Glinka, Erika Esser